06.03.2024

Forschungsstelle Glücksspiel: Otterbach kritisiert Aufweichung des Einzahlungslimits

Dr. Steffen Otterbach, Leiter der Forschungsstelle Glücksspiel, Universiät Hohenheim, äußert sich im Vorfeld des Symposiums Glücksspiel zu verschiedenen Themen, wie zum Beispiel Einzahlungslimit, Glücksspiel-Survey und Forschungslage. (Archivfoto)

Das Einzahlungslimit von 1 000 Euro monatlich bei Online-Glücksspielen werde durch die Gemeinsame Glücksspielbehörde der Länder (GGL) aufgeweicht – womöglich unter dem Druck der Industrie, die die Konkurrenz durch illegale Anbieter beklage. Was eigentlich dem Schwarzmarkt das Wasser abgraben sollte, könnte bei Glücksspielstörungen zu verstärkten Problemen führen, warnt Dr. Steffen Otterbach, Leiter der Forschungsstelle Glücksspiel, Universität Hohenheim, im Vorfeld des Symposiums Glücksspiel.

Glücksspielstörungen seien weit verbreitet – rund 2,4 Prozent der Deutschen im Alter von 18-70 Jahren seien betroffen, so die Ergebnisse des aktuellen Glücksspiel-Surveys. (Über kritische Stellungnahmen zum Survey lesen Sie hier mehr.) Um dem zu begegnen, braucht es laut Otterbach auch künftig gute Glücksspielforschung.

Kritik am Glücksspiel-Survey „in diesem Ausmaß nicht nachvollziehbar“

"Der Glücksspiel-Survey stellt für uns eine wichtige Grundlage in Bezug auf das Ausmaß von Glücksspielproblemen in Deutschland dar“, legt Dr. Steffen Otterbach dar. Weiter sagt er: „Die Kritik, die der Survey in der jüngeren Vergangenheit erfahren hat, ist für uns als Forschende in diesem Ausmaß nicht nachvollziehbar.“
Kritisiert wurde durch ein von vier Verbänden in Auftrag gegebenes Gutachten unter anderem fehlende Transparenz, speziell das Fehlen eines Peer-Review-Verfahrens. (Wir berichteten.) „Hier wird ein Maßstab angelegt, der für wissenschaftliche Veröffentlichungen in Fachpublikationen gilt, bei Studien dieser Art aber nicht üblich ist“, sagt Otterbach.

Otterbach: „Glücksspiel-Survey des ISD Hamburg sorgt für bessere internationale Vergleichbarkeit“

Selbstverständlich gebe es, wie bei jeder wissenschaftlichen Erhebung, auch beim Glücksspiel-Survey Verbesserungsmöglichkeiten, räumt Otterbach ein. „Eine Längsschnittstudie, also eine wiederholte Befragung derselben Personen – wie im Gegengutachten gefordert – ist beispielsweise absolut wünschenswert. Machbar ist dies jedoch erst mit einer entsprechenden Ressourcenausstattung.“
Die im Glücksspiel-Survey gewählte neue Methodik brachte Veränderungen hinsichtlich der Befragten und des Messinstruments, weshalb die Ergebnisse sich nur bedingt mit früheren Studien vergleichen lassen. „Bei dem neu eingesetzten Messinstrument, dem sogenannten DSM-5, handelt es sich um ein international anerkanntes Instrument zur Diagnose von psychischen Störungen – einschließlich problematischem Glücksspiel“, erläutert Otterbach. Der Forscher betont: „Das ermöglicht eine bessere internationale Vergleichbarkeit, führt jedoch zu anderen Ergebnissen. Ein direkter Vergleich der Zahlen von 2021 mit 2019 ist daher nicht zweckmäßig. Erst der Vergleich mit den aktuellen Ergebnissen zu 2023 macht Sinn.“

Größe des Schwarzmarktes laut Otterbach unklar

Deutlich werde unter dem Strich auf jeden Fall, dass die Zahl der Menschen mit Glücksspielstörungen besorgniserregend sei, so Otterbach. Ein Problem, das den Spielerschutz tangiere, bestehe darin, dass sich einige Anbieter der Glücksspielbranche durch illegale Angebote unter Druck gesetzt fühlten. „Wie groß der Schwarzmarkt tatsächlich ist, kann man jedoch nur schwer beurteilen. Studien kommen hier zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen“, berichtet Otterbach.
„Um dem illegalen Spiel entgegenzuwirken, soll ausgerechnet die Aufweichung des anbieterübergreifenden Einzahlungslimits von 1 000 Euro dafür sorgen, den legalen Markt attraktiver zu machen“, so Otterbach.

Bereits im vergangenen Jahr hat die Gemeinsame Glücksspielaufsichtsbehörde der Länder (GGL) bindende Rahmenregelungen herausgegeben, nach denen Spieler künftig bis zu 10 000 Euro pro Monat einzahlen dürfen, sofern ihre „wirtschaftliche Leistungsfähigkeit“ nachgewiesen ist. Unter bestimmten Auflagen können sogar Limits von bis zu 30 000 Euro gesetzt werden.
„Das könnte das Problem künftig verschärfen. Für die meisten Menschen dürfte bereits das Limit von 1 000 Euro monatlich zu wirtschaftlichen Problemen führen“, warnt Otterbach. Um dem entgegenzuwirken, sei es von großer Bedeutung, problematisches Spielverhalten zu erkennen.

Ruf nach mehr Forschung

„Aus der Wissenschaft sind Gefährdungsmerkmale – sogenannte markers of harm – bekannt, die Hinweise auf ein potenziell problematisches Spielverhalten liefern können“, erläutert der Wissenschaftler. Solche Merkmale wären zum Beispiel, dass Spieler mehrere Zahlungsmittel verwenden, vorwiegend nachts spielen, ihre Limits ständig ändern oder beantragte Auszahlungen oft wieder stornieren würden.
Welche konkreten Vorgaben und Schwellenwerte Anbieter laut der Regulierungsbehörde einhalten müssten, um Spieler zu schützen, sei nicht transparent nachvollziehbar. „Das zeigt, dass wir auch weiterhin gute und solide Glücksspielforschung brauchen. Sie ist die Voraussetzung für eine auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basierende politische und gesellschaftliche Debatte und eine evidenzbasierte Regulierung“, so Otterbach.
Dabei sehe der Glücksspielstaatsvertrag 2021 für wissenschaftliche Forschung und deren Finanzierung durch die Bundesländer eine zentrale Rolle vor. „Leider steht auch die Vergabe der Mittel in der Kritik, die von den Ländern bereitgestellt werden“, berichtet Otterbach. Er merkt an: „Diese Mittel sind ohnehin knapp bemessenen. Sie werden unter anderem durch die Gemeinsame Glücksspielaufsichtsbehörde der Länder (GGL) verteilt, die für die Überwachung und Regulierung des Online-Glücksspielmarkts zuständig ist.“

Die Vergabepraxis sei für viele universitäre Wissenschaftseinrichtungen unter anderem aufgrund der knappen Einreichungsfrist nicht geeignet.
Was gute Forschung künftig brauche und wie sie dazu beitragen könne, Spieler besser zu schützen, werde auch ein Thema auf dem diesjährigen Symposium Glücksspiel sein.

Symposium Glücksspiel am 12./13. März als Hybrid-Veranstaltung

Die Forschungsstelle Glücksspiel an der Universität Hohenheim feiert in diesem Jahr ihr 20-jähriges Bestehen. Das Symposium findet am 12. und 13. März 2024 an der Universität Hohenheim in Stuttgart statt. Ein Live-Stream der Veranstaltung ist verfügbar. Weitere Infos und Anmeldemöglichkeiten unter: https://gluecksspiel.uni-hohenheim.de/symposium